Meine Geschichte

In diesem Text möchte ich davon erzählen, wie ich trotz Germanistikstudium in der Fitnessbranche gelandet bin, was meine Essstörung damit zu tun hatte und warum ich 2022 den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt habe.

Meine Beziehung zu Bewegung und Training war nicht immer gesund. Auch ich habe mal einzig aus dem einen Grund Sport gemacht: um ABZUNEHMEN! Gut auszusehen. Mich unangreifbar zu machen. Das fing bei mir mit dem Joggen an und erstreckte sich bald übers Fahrradfahren und Schwimmen – Hauptsache bewegen, denn Bewegung = Kalorien verbrennen! Dünn wollte ich sein. Deswegen aß ich auch nicht – oder nicht ausreichend. 

Ich war auf Dauer-Diät, schon seit meiner frühen Jugend. Ich war zwar schlank und hatte noch nie Diskiminierung aufgrund meines Körpers erfahren – aber eins hatte ich früh verstanden: Es gehörte einfach irgendwie zum Erwachsenwerden und Frau-Sein dazu, diese diffuse Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und der Wunsch, etwas daran zu verändern. 

Es folgte also die wellenförmig verlaufende Geschichte von gestörtem Essverhalten, wie sie die allermeisten Frauen kennen: Essen war hauptsächlich mit Verboten belegt, eine Diät reihte sich an die nächste, und das ultimative Ziel war es, immer NOCH dünner zu werden. Je älter ich wurde, desto weniger Kalorien nahm ich zu mir, und desto rigoroser wurden meine Ernährungsroutinen – eine wilde Mischung aus allen Abnehmtricks, die mir aus Brigitteheften, Fernsehserien und durch Freundinnen zugetragen wurde. Und meine Güte – waren das eine Menge Infos! 

Problematisiert wurde das damals gar nicht – es war eher normal. In den späten 90ern/frühen 2000ern waren die weiblichen Rolemodels aus Fernsehserien oder Musikvideos alle extrem dünn. Körpervielfalt fand nicht statt, female empowerment gab es im Mainstream nicht. Und ich bekam auch mit, dass ich ganz viel Aufmerksamkeit und positive Bestätigung dadurch bekam, dass ich mich streng disziplinierte und sichtlich abnahm. Jackpot also!

Wenig oder nichts zu essen, wurde für mich normal – ebenso wie regelmäßige Essanfälle, wenn der Körper sich mit Gewalt das holen wollte, was ich ihm versagte. Und ebenso normal wurde die permanente Beschäftigung damit, wie ich aussah und was für ein Körper-Bild ich abgab. Egal wie dünn ich war – zufrieden war ich nie mit mir. Immer gab es noch etwas zu verändern, zu verbessern oder zu verbergen. Ich WAR mein Körper – aber viel mehr eben auch nicht. Alles andere rutschte irgendwie in den Hintergrund. Mein Aussehen – und mich damit unangreifbar zu machen – wurde zu meiner obersten Priorität.

Zu meinem gestörten Essverhalten gesellte sich dann in meinen frühen 20ern eine veritable Sportsucht: Disziplin und Regelmäßigkeit waren für mich kein großes Problem, denn ich hatte ja ein ganz klares (und dennoch völlig diffuses) Ziel vor Augen: Dünn zu sein, Kalorien zu verbrennen, makellos auszusehen! Ich joggte zeitweise 7mal pro Woche – auch mit Lungenentzündung und bei 10Grad unter Null. Ich stand unter der Woche um 4Uhr auf, um noch vor Tagesbeginn mein Trainingsprogramm zu absolvieren. Jede Strecke legte ich mit dem Fahrrad zurück – manchmal an die 200km pro Woche, und natürlich zusätzlich zum restlichen Sportprogramm. Ich wunderte mich, wenn meine Knie schmerzten oder ich ständig umknickte – das war doch nun alles wirklich sehr gesund, was ich machte? Wieso gehorchte mein Körper dann schon wieder nicht meinen Ansprüchen?! Obwohl ich mich zu dem Zeitpunkt schon in therapeutischer Auseinandersetzung mit meiner Essstörung befand, brauchte ich noch eine ganze Weile, um zu verstehen, dass meine gnadenlose Sportroutine im Grunde Teil des gleichen Problems war. 

Absurderweise war es dann dennoch gerade der Sport, der mich auf meinem Weg zu mehr Körperakzeptanz unglaublich unterstützt hat. Das Krafttraining lehrte mich, dass ich, um Leistungen abrufen zu können und mich zu verbessern, essen muss.„Strong is the new skinny!“, das neue Körperideal der 2010er Jahre, war für mich zunächst wie ein Befreiungsschlag: Endlich durfte ich Raum einnehmen, endlich musste ich nicht mehr verschwinden wollen. „Das ist keine Diät, das ist ein Lifestyle!“, davon war ich sehr überzeugt. Nun aß ich also, durchaus auch viel – aber eben: clean. Und natürlich proteinreich, denn ich wollte ja Muskeln. Ich lernte, die Lebensmittel in gesund/nützlich und ungesund/unnötig einzuteilen. Mein Leidensdruck war wesentlich weniger geworden: Ich liebte mein neues, starkes Körpergefühl und das Wissen, dass ich mit Training meinen Körper so formen konnte, wie ich es wollte. Das war auch der Punkt, an dem ich mich dazu entschied, meine akademische Karriere an den Nagel zu hängen und als Trainerin zu arbeiten: Ich hatte den heiligen Gral gefunden und wollte so vielen Menschen wie möglich dazu verhelfen, sich auch so gut in ihrem Körper zu fühlen! 

(Dass ich damals – in der Rückschau – knietief in orthorektischem Essverhalten steckte und meine folgenden Fitness-Ausbildungen dieses Verhalten nicht nur belohnten, sondern auch befeuerten – das ist ein anderes Thema. Gerade aufgrund meiner eigenen Erfahrungen stehe ich dem Gesundheitsbegriff der Fitnessindustrie sehr skeptisch gegenüber.)

2009 begann damit mein beruflicher Weg in der Fitness- und Gesundheitsbranche: Flugs die Pläne zur Doktorarbeit in Germanistik zu den Akten gelegt und umgeschult! Nach den Basis-Ausbildungen und ersten Erfahrungen als Trainerin in großen Berliner Fitnessanlagen war mir bald klar, dass ich mich auf den Bereich des rehabilitativen und präventiven Gesundheitssports fokussieren wollte. Ich absolvierte also weitere aufbauende Qualifikationen, bildete mich als Sporttherapeutin weiter und begann in einem kleinen Fitnessclub zu arbeiten, der eng mit dem Rehasport und eigener Physiotherapie zusammenarbeitete. Dort kamen Leute zum Training, die chronische Schmerzen oder Vorerkrankungen hatten, oder die schlichtweg keine Lust auf das realitätsferne Blabla der anderen Fitnessläden hatten und einfach ein bisschen was für ihre Gesundheit tun wollten. Das war für mich super sinnstiftend  – daran mitzuarbeiten, dass Menschen möglichst entspannt, niedrigschwellig und gut betreut ihr Training absolvieren können. Big Fitness – damit wollte dort niemand was zu tun haben.

Und obwohl ich also schon sehr früh mit einem sehr kritischen Geist der gesamten Branche gegenüberstand, und mich auch in einem sehr kritischen Umfeld bewegte, kam ich mit den Konzepten von HAES und Fat Liberation erst viel später in Kontakt – natürlich über das Internet! Irgendwie stolperte ich bei Facebook über eine Trainerin, die sich als „non diet“ und „fat fitness babe“ bezeichnete und ohne Scham (man stelle sich vor…!) ihren großen Körper beim schweren Liften filmte. Das fand ich nun wirklich richtig spannend: Es konnte also selbstverständlich sein, mehrgewichtig und sportlich zu sein? Man durfte sagen, dass man nicht abnehmen wollte – ganz ohne Problematisieren mit Essstörungsgeschichte? Gewicht und Gesundheit dürfen komplett entkoppelt werden? Ich war hooked. Da entstanden plötzlich Zusammenhänge, die so vieles in Worte fassten, was ich vorher gar nicht auszudrücken wusste! Und ich hängte mich voll rein in das tollste, befreiendste, empowerndste rabbit hole, in dem ich mich je befunden habe – und das ich seither eigentlich auch nicht mehr verlassen habe. Danke, Internet!!

Durch die intensive Beschäftigung mit HAES und allen Themen rund um Body Positivity, Körperneutralität und Anti-Diät schloss sich für mich ein Kreis: Sowohl beruflich wie auch in meiner ganz eigenen Auseinandersetzung mit meinem Training, meinem Körper und meinem Essverhalten. Durch die Konzepte von intuitiver Ernährung und intuitiver Bewegung konnte ich meinen eigenen, sehr mächtigen Glaubenssätzen auf die Spur kommen und wirklich daran arbeiten, die Diätmentalität hinter mir zu lassen. Obwohl ich mich eigentlich längst als sehr entspannt und auch großzügig mit mir selber wahrnahm, entdeckte ich, wieviel Schuld- und Schamgefühl ich dennoch immernoch in mir trug:

„No pain, no gain!“

„Nach 18 Uhr essen macht dick!“

„Training zählt nur, wenn es so richtig intensiv ist und dich zum Schwitzen bringt!“

„Du musst mindestens xy machen, sonst bringt es nichts!“

„Yoga ist nicht anstrengend genug.“

„Kohlenhydrate sind irgendwie gefährlich.“

– ich stellte fest, dass solche und ähnliche Glaubenssätze mich unterbewusst immer noch total im Griff hatten. Und diese gehen zu lassen, war eine Aufgabe, die gar nicht mal so einfach war: Ich erlebte, dass der Abschied vom (unbewussten) permanenten Diäthalten ganz schön schmerzhaft sein kann…

Meine Beziehung zum Essen und zum Training wirklich zu heilen war kein einfacher Prozess – und ein kurzer schon gar nicht. Es war ein langsamer, ganz bewusster Prozess, in dem ich wirkliches Selbstmitgefühl und Großzügigkeit mir selbst gegenüber gelernt habe. Die Anti Diät-Bewegung und der Health at Every Size-Ansatz haben mir dabei sehr geholfen.

Als sich abzeichnete, dass ich Berlin nach 15 Jahren verlassen und zurück nach NRW gehen würde, war mir schnell klar: Das geht nur, wenn du dich selbstständig machst!

Mir war wichtig, eine gewichtsinklusive Dienstleistung anzubieten, die die Leute wirklich da abholt, wo sie stehen: Unabhängig von Aussehen, Körperform, Vorerfahrung und Leistungsniveau. Und die das auch nicht nur laut genau so sagt, sondern in der Umsetzung eben auch meint: Dass wirklich jeder Körper willkommen ist! Wichtig war mir außerdem, ganz klar zu machen: Du wirst bei mir ernstgenommen, wenn du mit deinem Körperbild strugglest, eine Essstörungsgeschichte mitbringst oder traumatische Erfahrungen mit Sport gemacht hast. (Das wird nämlich in den Fitnessnarrativen häufig bequem weggeschwiegen. Würde ja auch viel zu viel Arbeit machen.)

Und vor allem wollte ich tiefer reingehen und verstehen, warum Bewegung, Fitness und alles, was einen gesunden Lebensstil ausmacht, für viele Menschen so unheimlich schwer umzusetzen ist. Ich entschied mich also, noch eine Coaching-Ausbildung draufzusetzen, um Menschen besser in Veränderungsprozessen unterstützen zu können. 

Und so entstand mein kleines Unternehmen, KörperKraftVertrauen. Heute arbeite ich mit ganz unterschiedlichen Menschen in verschiedenen Feldern und liebe es sehr: 

  • ich unterrichte sporttherapeutische Gruppenkurse mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Mamafitness, Parkinson, Rückenfitness, Stressbewältigung, Faszientraining…)
  • ich betreue Menschen im Personal Training, sowohl online als auch vor Ort im HSK
  • ich begleite im OnlineCoaching Kraftsportler*innen im Breitensport dabei, ihr Training sinnvoll zu gestalten und ihre Ziele zu erreichen
  • ich arbeite im intensiven 1:1 MentalCoaching mit Menschen, die Frieden mit ihrem Körper schließen und lernen möchten, Bewegung als Selbstfürsorge in ihren Alltag zu integrieren – anstatt sie weiterhin als Instrument zu nutzen, den Körper zu verändern
  • ich coache Menschen, die sich in verschiedensten Konflikt- oder Veränderungsprozessen befinden – ganz unabhängig von meiner sporttherapeutischen Expertise.

Meine Mission: Andere dabei zu unterstützen, nachhaltig gute Veränderungen in ihrem Leben zu etablieren, während sie ihre Beziehung zum Essen und zur Bewegung entspannen. Ich möchte die Barrieren zu einem bewegten Leben reduzieren und dazu beitragen, dass (Fitness-) Räume inklusiver, offener und einladender für alle Menschen werden!