Freundlich trainieren

„Würdest du die Art, dich zu bewegen, verändern, wenn das Ziel wäre, freundlich zu dir selbst zu sein?“ Über diese Frage bin ich neulich in einem Instagram-Post gestolpert, und sie hat mich tief beeindruckt.

Das ist ja wirklich sehr, sehr nachdenkenswert, oder? Was für eine tolle Formulierung: Mein Ziel ist es, freundlich zu mir selbst zu sein! Da wächst man doch innerlich gleich um ein paar Zentimeter, finde ich, und es wird ganz warm innendrin. 

Vielleicht stellen wir fest: Oha, wir bewegen uns gar nicht ausreichend – wenn das Ziel ist, freundlich zu uns selbst zu sein, dann wäre mehr Bewegung wohl angesagt. Das könnte ganz unspektakulär so aussehen, dass wir jetzt das Auto mal öfter stehenlassen und den Weg zu Fuß gehen; oder dass wir am Wochenende regelmäßig eine Fahrradtour machen; oder dass wir mit der Kollegin ein Geh-Meeting vereinbaren, anstatt uns im Konferenzraum zu treffen. Vielleicht nehmen wir es aber auch größer in Angriff und melden uns endlich beim Yogakurs an, oder wir engagieren eine Personal Trainerin, die uns unterstützt und motiviert. (Das ist sowieso immer eine sehr, sehr gute Idee, zwinkerzwonker.)

Vielleicht gehören wir bereits zu den Aktiven und stellen nun fest: Oha, SO kann ein Trainingsziel auch formuliert werden? Ich kann mein Training aus dieser Richtung heraus denken? Interessant! Das wirft ein ganz anderes Licht auf die Sache, als wenn wir unser Bewegungsprogramm stets unter den Aspekten von Gewichtsverlust und Idealkörper verorten. Vielleicht müssen wir gar nicht immer bis zum Muskelversagen trainieren, weil: Muskelaufbau! Lange Cardio-Einheiten absolvieren, weil: Fettstoffwechsel! Zum Core-Training gehen, weil: Sixpack!

Während all diese Dinge ganz fantastisch und erfüllend sein können, sollten wir uns dennoch auch mal fragen: Würde ich mein Training weiterhin so gestalten, wenn das ausschließliche Ziel des Trainings wäre, freundlich zu mir selber zu sein? Das kann die Perspektive nämlich stark verändern. Ein Sixpack – ja, klar, wer würde es wegschicken, wenn es morgen plötzlich an uns dran wäre! Aber würde der Gedanke an einen flachen Bauch uns weiterhin so begleiten, wenn unser dezidiertes Ziel wäre, uns selbst mit unserem Training freundlich in den Arm zu nehmen? Würden wir diese Bauchübungen trotzdem machen? Würden wir alle 5 Sätze davon machen? Machen wir die ganzen Planks, Situps und Crunches wirklich aus Freundlichkeit mit uns selbst? (Achtung, es gibt keine falschen Antworten darauf!)

Ähnlich verhält es sich mit dem Training aus Gründen der Gesundheitsverbesserung. „Ich mache Sport, weil ich was für meine Gesundheit tun möchte!“ Da können wir ja nix gegen sagen, da klopfen wir dem Gegenüber doch anerkennend auf die Schulter, das finden doch alle gut. Oder? Machen wir doch mal die Probe aufs Exempel! Würden wir unser gesundheitsorientiertes Bewegungsprogramm denn genauso weiterführen, wenn unser Ziel wäre, freundlich mit uns selbst zu sein? 30 Minuten Fahrradergometer fürs Herz? Verschiedene Geräte für die Beweglichkeit in Knie und Hüfte? Allmorgendliches Stretching für die Gelenke? Auch hier wieder: An all dem ist ja gar nix falsch. Machen, unbedingt! Manchmal denke ich nur, dass diese ganze Gesundheit für die arme Bewegung doch manchmal auch ganz schön anstrengend sein muss…nie wird sie einfach so um ihrer selbst willen geliebt. Immer nehmen alle sie nur in Kauf, weil sie eigentlich scharf auf die Gesundheit sind. Arme Bewegung! 

Nochmal: Es kann hier keine richtigen oder falschen Antworten geben. Ich finde an dieser Frage so toll, dass sie einen dazu herausfordert, sich selbst zu überprüfen – und sich klar darüber zu werden, wo man gerade steht und warum man das tut, was man tut. Das eröffnet Möglichkeiten, sich ganz bewusst zu entscheiden. Und es regt dazu an, die Freundlichkeit mit sich selbst als wichtigen Entscheidungsfaktor ganz selbstverständlich einzubeziehen.

Ich betreibe seit fast 15 Jahren so eine Mischung aus Powerlifting und Bodybuilding. Meine Trainingsziele waren dabei sehr lange irgendwas rund um: Körperfett verlieren, Muskeln aufbauen, stärker werden. Irgendwann realisierte ich aber, dass der wirkliche Grund einzig und alleine der war, dass ich immerzu dünner werden und meinen Körper an ein Ideal anpassen wollte. Diese Erkenntnis veränderte zu diesem Zeitpunkt alles für mich: Mir selbst gegenüber diese tiefliegende Motivation ehrlich eingestehen zu können, half mir dabei, meine Glaubenssätze rund um Diätkultur und Fettphobie unter die Lupe zu nehmen und daran zu arbeiten, sie hinter mir zu lassen. In den Jahren darauf nahm ich deshalb Abstand von meiner bisherigen Form des Trainings. Andere Themen rückten für mich mehr in den Fokus – Achtsamkeit, Meditation, Körperakzeptanz zum Beispiel. Yoga wurde mir wichtig, und ich entdeckte die intuitive Bewegung für mich: Ich wollte nicht ganz vom Eisen lassen, aber ich verabschiedete mich von den strikten Routinen und begegnete den Hanteln eher mit der Frage: Worauf habe ich jetzt Lust, was braucht mein Körper in diesem Moment von mir? Für mich war es – nach Jahren mit  langen, harten Trainingssessions und durchstrukturierten Trainingsplänen – unheimlich erleichternd und neu, mich von diesen Gerüsten zu befreien. Es war allerdings auch nicht immer leicht! Manchmal hatte ich Angst, meine Identität zu verlieren, wenn ich meine Art des Trainings verändere. Aber am Ende habe ich in den letzten 2 – 3 Jahren einfach viel in diesem Terrain herumgespielt – mich intuitiv bewegt, nicht jedes Muskelversagen mitgenommen, bin ohne Plan ins Gym gegangen oder habe auch mal ein paar Workouts geskippt, wenn mir nicht danach war. Das hat gutgetan – und hat mich unheimlich wachsen lassen, in sehr viele Richtungen, als Coach und als Sportlerin. Ich habe mich viel auf Bewegungsskills konzentriert, und dabei gelernt, wirklich freundlich zu mir selbst zu sein. 

Seit ein paar Wochen habe ich meine Art, zu trainieren nun wieder verändert. Ich brauchte ein neues Ziel, wollte mich wieder anders herausfordern. Also habe ich wieder begonnen, nach einem Plan zu trainieren. Strukturiert, mit wachsender Intensität, mit steigender Progression. Dafür arbeite ich mit einer App, die mir meine Trainings individuell zusammenstellt und den Ablauf sowie die Intensität vorgibt. Und – sagen wir mal so – es kracht jetzt wieder richtig bei mir. Da wird gehoben, gebeugt, gedrückt und gestöhnt – und auch ordentlich geschwitzt. Und es tut SO GUT!!!! Das war genau die Veränderung, die ICH in diesem Moment gebraucht habe: SO musste ich mein Training ändern, um freundlich zu mir selbst zu sein. Ich brauchte jetzt diese Herausforderung, körperlich wieder an meine Grenzen zu gehen, und diese neue Erfahrung.

Und mitten in meine Überlegungen, ob das Pushen im Training jetzt wirklich Selbstfürsorge ist, oder ob ich nicht doch wieder der Diätkultur auf den Leim gegangen bin……platzt dieser Post mit dieser so sehr wertvollen Frage.
„Würdest du deine Art, dich zu bewegen, verändern, wenn das Ziel wäre, freundlich zu dir selbst zu sein?“


Und ich merke: Meine Antwort darauf ist gerade: Ganz klar NEIN! Ich würde es ganz genau so lassen, wie es jetzt gerade ist. Freundlich zu sich selbst zu sein, das bedeutet nicht unbedingt: Sich körperlich nicht herauszufordern. Es kann eben auch bedeuten, dass man seine Grenzen ein wenig ausloten und verschieben möchte. Und das ist fein! 

Es gibt kein Falsch oder Richtig in der Art, wie wir uns bewegen möchten. Es gibt kein One size fits all-Konzept, dass für jede und jeden gleichermaßen und zu jedem Zeitpunkt gültig ist. Es gibt soooo viele Gründe, Sport zu machen, und viele Arten, zu trainieren oder sich zu bewegen. Alle sind valide. Was ich wichtig finde, ist: Die Freundlichkeit zu sich selbst überhaupt als wichtige Größe in seine (Sport-)Überlegungen miteinzubeziehen. Sie sollte eigentlich im Zentrum dieser Überlegungen stehen!

Probier‘ es doch einfach mal. Und? Möchtest du etwas verändern?